03.05.99: Im Tanz verführt er die Geliebte

 

MRZ – NR. 101- MONTAG, 3. MAI 1999

Kubas Flair in der Phönixhalle: Der 91jährige Compay Segundo umgarnt und bezaubert das Publikum

 

Er tanzt mit seiner Geliebten, die Linke an ihrem Hals, die Rechte an den Rundungen ihres Körpers. Er hat sie nach seinen Vorsteltungen gestaltet, vor vielen Jahren. Damals war er ein junger Sänger auf Kuba, heute ist er ein weltweit gefeierter Star. Und immer noch, auch mit 91 Jahren, tanzt Compay Segundo am liebsten mit seiner Armonica, seiner siebensaitigen Gitarre mit dem kurzen Hals.

 

Von Werner Wenzel

MAINZ. Tänzelnd betritt er die Bühne, tänzelnd geht er ab, dieser kleine alte Mann, der anderthalbtausend Men- schen fast beiläufig in seinen Bann zieht. Francisco Repilado ist der Star des Abends in der Phönixhalle. Der Musiker, der Kuba, Havanna, Santiago und Guantanamo nach Mombach verlegt. Der Charismetiker, der mit dem harten, zuweilen metallischen Klang seines Instruments die Rhythmen von Son, Chachacha und Merengue nach Mainz bringt. Der älteste der kubanischen Altstars, denen Bluesmeister Ry Cooder in den vergangenen Jahren mit dem "Buena Vista Social Club" ein Comeback mit weltweitem Widerhall ermöglicht hatte.

 

Kurz nach dem Ersten Weltkrieg mußte er sich seinen Lebensunterhalt im kubanischen Santiago als Zigarrenroller verdienen, kurz nach dem Zweiten Weltkrieg war Francisco Repilado schon ein Star auf der Karibikinsel. Seine tiefe Stimme und sein Gitarrenspiel, Basis für das Duo "Los Compadres", bescherten ihme den Künstlernamen Compay Segundo, mit dem er bis heute weltweit auf Tournee geht. Jetzt öffnet sich dem Mann mit dem hellen Hut als Markenzeichen eine Welt, deren Vorläufer er aus dem mondänen vorrevolutionären Havanna kennt.

 

solche Tourneen, insbesondere, wenn er so ein dankbares Publikum hat wie beim Mainzer Auftritt, präsentiert vom Frankfurter Hof. Ein Konzert mit seinen sieben Muchachos wird da fast zum Heimspiel, Mitklatschen und Mitsingen inklusive. Für die Melodien sorgen in erster Linie Compay Segundos Stimme und die geliebte Armónica, die er auch schon mal küßt. Um den Rest kümmern sich ein Gitarrist, ein Perkussionist, drei Klarinettisten, ein Bassist und der musikalische Leiter, dem Compay die Feinabstimmung überläßt. Die Compadres bleiben weitgehend namen- und konturlos, sind treue Begleiter im Dienste der Legende, versiert, sicher, mit großen musikalischen Qualitäten, aber immer nur in der zweiten Reihe.

 

Ganz vorne, da gelten nur Compay Segundo und seine Musik aus fast 70 Jahren. Aber war da nicht noch was neben großen Titeln wie "Cumbanchero", "Chan Chan" und "Para vigo me voy"? Doch. Das Publikum ist hingerissen vom lebhaften, virilen Auftreten des Greises, vom Charisma des großen Künstlers, der seine Begleiter mit einem einzi- gen Blick dirigiert. Und von der natürlich wirkenden Freundlichkeit dieses Herren, dem die Lebenslust aus den Augen blitzt. "Lo mejor de la vida" hat Compay Segundo im vergangenen Jahr seine erste weltweit veröffentlichte CD genannt: "Das Beste im Leben". Was meint er damit? Die Musik? Vielleicht. Am ehesten aber kann man es ahnen, wenn Compay Segundo mit einem eleganten Hüftschwung seine Geliebte umarmt, mit ihr tanzt und sie zum Klingen bringt. Dann fehlt ihm zum Glück nur noch eine gute Havanna. Höchstens.